Archiv der Kategorie: schreiben

Vom Suchen und Finden oder: Wie das Häschen seinem Platz fand

Mein Beitrag zum Thema: Identität und Realitätsabgleich

Das Häschen raste los. Es hatte sein Bündel geschnürt, mit den wichtigsten Dingen, die ein Häschen benötigte. Die Angst und die Scham ließ es davon laufen. Schnell hatte es eine große Strecke zwischen sich und dem Angreifer gebracht. Das war gerade nochmal gut gegangen! Wie so oft. Aber wie oft konnte das noch gutgehen, fragte sich das Häschen immer wieder.

Als es immer weiter in den tiefen Wald gelaufen war, fragte sich das Häschen, wann es endlich einen Platz fände, an dem es so sein dürfte, wie es war. Es war mittlerweile so müde vom immer gleichen Suchen. Es wollte endlich einmal einen Ort finden, nicht immer nur suchen. Als es anfing zu regnen, kam das Häschen nur noch langsam voran. Dabei musste es seine großen Füße heben und sich darauf konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dabei grübelte es vor sich hin. Das konnte es wirklich gut! Wie oft hatte es schon versucht eine Bleibe für sich und seine Bedürfnisse zu finden. Aber bis jetzt hatte es noch keinen Platz gefunden, an dem es so bleiben durfte, wie es war. Erst gestern hatte es gedacht, dass das viele Suchen mit einem Finden belohnt worden war. Das Häschen hatte eine ruhige Stelle im Wald gefunden. Unter einem großen schönen Baum. Weit und breit war Stille und niemand zu sehen. Hier konnte sich das Häschen bestimmt verstecken und keiner würde sich an ihm stören. So dachte es jedenfalls. Das Häschen hatte eine Grube gegraben, sich hinein gelegt und gehofft, dass es niemanden stören würde, wenn ein Häschen unter einem Baum im Wald lebte. Aber das Glück hatte nicht lange angehalten. Das Häschen hatte sich gerade zum schlafen hingelegt, da vibriert die Erde. Steine und Erde flogen in die Häschengrube. Ein Erdbrocken klatschte dem Häschen auf die Nase und vor Schreck fiel es mit einem lauten „Plumps“ aus dem Bett. Blitzschnell war es totenstill. Das Häschen hatte wahnsinnige Angst. Zitternd krabbelte es vorsichtig zum Ausgang der Grube. Als es ängstlich sein Näschen an die Luft streckt, erblickte es zwei fürchterlich große Nasenlöcher. Sie schnaubten dem Häschen die Ohren nach hinten. Es musste die Augen zukneifen, weil der fürchterliche Atem dem Häschen die Tränen in die Augen trieb. Neben der großen Wildschweinnase standen zwei bedrohliche Hörner ab. Das Wildschwein schnaubte erneut und seine grollende Stimme sagte: „Was suchst du unter meinem Lieblingsbaum, du Häschen du! Du bist zu klein, zu weich und zu…. Offenbar fehlten dem Schwein da die Worte. Dem Häschen lagen schon helfende Begriffe auf den Zunge, die sie dem Schwein gerne unterstützend gegeben hätte, wie z. B. dumm, nichtsnutzig, schwach….ängstlich. Das Häschen hatte schon so viele Wörter über sich gehört, es hätte dem Schwein, das offensichtlich Wortfindungsstörungen plagten, so gerne geholfen, aber: Es traute sich nicht. Das Schwein grunzte nur und grollte mit tiefster und finsterster Stimme: „Wenn ich morgen zurückkomme, bist du verschwunden!“ Damit hatte es sich umgedreht und war mit lautem Getöse davon gestapft. Nicht ohne dem Häschen noch mehr Erde und Steine in die Grube zu schmeißen. Das Häschen hatte geseufzt. Es war tieftraurig und sammelte sein Hab und Gut zusammen. Dann war es von dannen gehoppelt, wie immer.

Daran dachte nun das Häschen, als es sich im Regen unter einen Busch gekauert hatte. Es dachte an die vielen erfolglosen Versuche für sich einen Platz im Wald zu finden. Als es sich z. B. mit großer Mühe in einem heruntergefallenes Nest einquartiert hatte, war es vom Picken einer großen Elster wachgeworden. Es hatte sich gewundert, warum dieser Vogel ein Nest am Boden beherbergen wollte, aber das Häschen konnte vor lauter Angst nicht sprechen. Es war aus dem Nest geflüchtet und hatte schnell das Weite gesucht. Auch der Versuch sich tief in die Erde zu graben, hatte nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Auch da wohnten schon welche, die nicht bereit waren, das Häschen neben sich zu akzeptieren. Herr Maulwurf hatte drohend seine großen Schaufelhände geschwenkt und war nicht mal bereit gewesen, seine dunkle Brille abzunehmen. Das Häschen war weggerannt, so schnell es konnte. So wie heute und die vielen Male davor. Nun saß es erschöpft, traurig und resigniert unter diesem Busch, von dem es sicher war, dass es garantiert jemanden geben würde, der sich am Häschen störte. Aber so kraftlos wie es gerade war, rollte es sich trotzdem zusammen und schlief sofort ein. Es schlief sehr lange und im Traum erschien ihm die Hasenfee. Sie war eine sehr runde Hasenfee und das schlafende Häschen fragte sich im Traum, ob die Hasenfee eigentlich wusste, dass die kleinen filigranen Flügel sie eigentlich nicht tragen dürften? Wahrscheinlich wusste die Fee davon nichts, denn sie tanzte anmutig durch die Luft und schwirrte flink um die Nase des schlafenden Häschens herum bevor sie sagte: „Hase, mal ehrlich, wie lange willst du eigentlich noch vor dir davon laufen?“ Das Häschen runzelte die Stirn und antwortete: „Aber das mache ich doch gar nicht! Die anderen wollen mich nicht haben, weil ich zu dumm, klein, ängstlich,…“ Endlich, so dachte das Häschen, kann ich all die schlimmen Eigenschaften, die ich immer wieder gesagt bekomme, aussprechen…. Aber mit einer schnellen Handbewegung brachte die Hasenfee den Hasenfuß zum Schweigen. „Papperlapapp! Komm mir nicht mit solchen Ausreden! Du hast ein Recht darauf so zu sein, wie du bist. Aber wenn Du nicht sagst wer du bist, dann können die anderen auch nicht wissen, dass es gut ist, ein Häschen wie dich im Wald zu haben. Du musst nicht nur Hase sein und dich auskennen im Wald, du musst es den anderen auch sagen! Und wenn du nicht schnell einen Platz für dich finden wirst, wird von dir bald nichts mehr übrig sein. Wer soll sich denn dann um das kleine Häschen in dir kümmern? Wer soll ihm sagen, wo es sicher ist? Wer soll es versorgen? Also bitte: Finde einen Platz und zeig dich endlich!“

„Puff“, die Hasenfee löste sich in Luft auf. Das Häschen schlief noch sehr lange tief und fest. Ein Sonnenstrahl weckte es kitzelnd an der Nase. Das Häschen reckte und streckte sich ausgiebig. Es schüttelte die großen Füße aus. Dann setzte es sich vor den Busch und reckte die Nase in die Sonne. Es schloss die Augen und versuchte das kleine Häschen in sich zu finden. Und was soll ich euch sagen, es war schnell gefunden. Es saß auf einem gepackten Koffer und hielt ein Schild in der Hand auf dem stand: Kümmer dich, ich will endlich ankommen!

Das Häschen machte die Augen auf. Es sprang auf, trommelte auf der Brust und schrie aus Leibeskräften in den Wald hinein: „Ich kümmere mich und ich schaffe das!“ Da grummelte eine schneidende Stimme hinter dem Häschen: „Bist du denn total bescheuert hier so laut herumzubrüllen!?? Mach das du wegkommst!“ Das Häschen drehte sich um und erblickte einen großen schönen Fasan. Der stolze Vogel blickte herablassend in die Häschenaugen. Mit einem Satz sprang das Häschen auf den Fasan zu. Es stellte sich auf seine großen Füße und als es genau so groß war wie der Vogel, drückte es sein Gesicht an das Gesicht des Fasans und schrie, dass die Federn des Vogels nur so flogen: „Ich schreie, wann ich will und ich suche eine Bleibe für mich und mein kleines Häschen!“

Als der Fasan sein Gefieder wieder gerichtet, traurig die heruntergefallenen Vogelfedern betrachtet hatte, antwortete er: „Warum sagst du das nicht gleich? Es gibt einen schönen Hasenbau, der schon lange leer steht. Wir könnten einen Hasen wie dich in der Nachbarschaft gut brauchen, vorausgesetzt, du kannst auch leiser sprechen. Soll ich dir den Bau zeigen?“ Das Häschen nickte und nahm sein Bündel. Der Fasan schaute suchend umher und fragte: „Wo ist denn das kleine Häschen?“ Der Hase schaute den Fasan an und holte tief Luft, als es sagte: „Das ist in mir. Kann ich dir das später erklären?“ „Klar, Hauptsache du schreist nicht wieder!“, antwortete der Fasan. Der Hase sagte: „Ich kann auch ohne schreien sagen, wer ich bin und was ich möchte, versprochen!“ Der Fasan nickte und sagte: „Das ist gut, dann passt du genau hierher!“ Beide setzten sich in Bewegung.

Das kleine Häschen faltete das Schild zusammen, stand auf und verstaute es im Koffer. Es nahm ein großen Kissen und ein Buch aus dem Koffer heraus. Es atmete auf. Hier konnte es endlich bleiben und Ruhe finden. Es drapierte das Kissen so, dass es sich hinein kuscheln konnte und begann zu lesen. Das tat es für sein Leben gern!

Eine neue Geschichte vom Sofa: Herr Inn-Antre hat Pause

Als sich sein Denken wieder eingestellt hatte, erkannte er wohin es ihn verschlagen hatte. Er befand sich mitten in einem Café, in dem es nur noch wenige freie Sitzgelegenheiten gab. Gerade hatte sich ein Gast vom roten Sofa erhoben und er beschloss den Platz seines Vorgängers einzunehmen. Als er spürte, wie das weiche Polster unter ihm nachgab, war er ratlos. Er schaute sich um. Alles was er sah, war wenig hilfreich. Was sollte er nun tun? Er hatte sie verloren. Nach so vielen Jahren. Was das für ihn bedeutete, wusste er nicht. Außer einem Runzeln der Stirn konnte er sich zu keiner Regung bewegen. Die Bedienung huschte an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Beruhigt atmete er auf. Er hätte nicht sagen können, warum ihn das erleichterte. Er lebte davon nicht erkannt zu werden. Sobald er sich zu erkennen gab, wendeten sich die Menschen von ihm ab. Deshalb agierte er lieber im Verborgenem. Er wollte nur kurz ausruhen. Ausruhen und nachdenken. Eine Aufgabe, die ihm schwer fiel. Das Denken war für andere erfunden worden. Er konnte andere Sachen gut. Etwas was ihn wirklich ausmachte, war zu gewährleisten, dass andere ihre Höchstleistungen erreichten. Darin war er besonders gut. Eigentlich war das das Einzige, was er konnte. Das wusste er. Schließlich konnte er auf eine jahrelange Erfolgsbilanz zurück blicken. Was das Antreiben von Menschen betrifft, machte ihm so schnell keiner etwas vor. „Jeder kann was!“, hatte sie gesagt. Das hatte ihn bestärkt und in bester Absicht hatte er sie mit seinem Können unterstützt. Er hatte alle anderen vernachlässigt und sich ausschließlich auf sie konzentriert. Dabei war er nicht sicher, ob er stets die passende Methode gefunden hatte, um sie zu Höchstleistungen anzutreiben. Vielleicht war er manchmal zu streng gewesen? Zu brutal? Er wusste es nicht. Wie gesagt, das Denken war für andere gemacht worden. Seine Hände glitten über das weiche Polster und zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte er das Gefühl nichts tun zu müssen. Er schluckte und bemerkte die Schweißperlen auf der Stirn, die sich dort langsam ihren Platz eroberten. Er spürte Panik in sich aufsteigen. Was sollte er tun? Sie hatte immer gesagt, dass Angst ein treuer Begleiter sei. Also hatte er dafür gesorgt, dass sie stets auf ihre Angst zurück greifen konnte. Sollte sich ihre Angst nun bei ihm einnisten? Er wusste nicht mal, ob er wirklich Angst hatte. Das einzige, was er wahrnahm, war ein neues Gefühl: Er hatte nichts zu tun. Er war ohne eine Aufgabe. Jetzt war er allein mit sich und konnte sich ganz auf seine Bedürfnisse konzentrieren. Er schluckte. Das war noch nie vorgekommen, dass er auf sich gestellt war. Während er seinem Rauschen in den Ohren zuhörte, sah er sich um. Er sah viele Menschen, die er alle nicht kannte. Er hatte keine Lust, sich neben sie zu setzen. Er wollte sie zurück. Warum eigentlich? Sie hatte ihn doch gar nicht gewürdigt. All die Jahre hatte er dafür gesorgt, dass sie stets das Maximum erreichen konnte. Egal in was, er hatte sie zur Höchstform auflaufen lassen: Hausarbeit? Job? Familie? Immer hatte sie alles geschafft und zwar mit Bravour! Und hatte sie es ihm gedankt? Nein, sie hatte ihn nicht einmal wahrgenommen. Und hatte er sich darüber beschwert? Nein! Er war stets geduldig gewesen und hatte ebenfalls stets sein ganzes Können in sie investiert. Mit welchem Ergebnis? Jetzt, als sie ihn in aller Größe wahrgenommen hatte, da wollte sie ihn nicht mehr. Einfach weggeschickt hatte sie ihn. Stumm starrte er vor sich hin und sein Kopf war gefüllt mit leeren Gedanken. Sie hatte ihm ein Zimmer zugewiesen. Dort stand ein Fernseher mit Kopfhörern. Vielleicht sollte er sich dorthin zurückziehen und sich auf sich konzentrieren. Sie hatte gesagt, dass es ihm gut gehen soll und aus irgendeinem Grund wusste sie, dass er gerne Fernsehshows mit Hans Meiser schaute. Wie sie das erfahren hatte, konnte er nicht sagen. Er stand auf und verließ das Café mit dem Vorsatz sich das Zimmer anzuschauen. Eigentlich hatte er sich die Ruhe verdient. Schließlich hatte er sie in den letzten Jahren ständig unterstützt. Vielleicht hatte sie recht: Er konnte ein wenig Ausruhen gebrauchen. Außerdem hatte er schon so lange kein Fernsehen gesehen, dass seinem gedanklichen Format entsprach gesehen. Er wusste, dass er es lieben würde. Dennoch beschloss er, ihr später doch noch eine Chance zu geben und sie noch einmal zu besuchen. Vielleicht konnte er sie davon überzeugen hin und wieder doch mit ihm ins Geschäft zu kommen. Aber bis dahin freute er sich auf Hans Meiser. Ruckartig erhob er sich vom Sofa. Unerkannt verließ er das Café.

Eine neue Rote-Sofa Geschichte: Der innere Antreiber und Sie

Männlein (2)

Eine Ruhe überfiel sie, als sie durch die Tür trat. Das leise Klingeln der Türglocke hieß sie willkommen. Sie schaute sich um. Das Café war gut gefüllt. Als hätte es auf sie gewartet, stand am Rand des Innenraumes ein rotes Sofa. Sie setzte sich und wartete. Die Stimme blieb aus. In ihrem Kopf war eine Stille, wie sie vorher noch nie da gewesene war. Sie schloß die Augen. Wie schön das war. Als sich ihre Augen wieder öffneten, stand eine Frau vor ihr. Sie lächelte und hatte einen Stift in der Hand. Die Frau auf dem Sofa lachte leise und sagte: «Entschuldigung. Ich war in Gedanken. Ich hätte gerne eine große Tasse Tee. Haben sie Earl Grey?» Die Frau nickte, blickte der Kundin in die Augen und sagte lächelnd: «Ja, habe ich. Er kommt sofort!» Die Worte der Bedienung hingen noch in der Luft, als sie wieder auf dem Rückweg zur Theke war. Die Frau auf dem Sofa schaute der Bedienung nach, ohne sie wahrzunehmen. Sie war ganz in ihrer Welt. Das war sie oft, aber sehr selten hatte sie sich dort so wohl gefühlt, wie in diesem Moment. Sie befand sich in einem Stille-Vakuum. Ihr innerer Antreiber war verstummt. Erstmal.

Ihr Tee wurde gebracht und sie setzte sich ein wenig auf die Kante des Sofas, um die Zitrone in den Tee zu rühren. Sie nahm das Knistern des Beutels wahr, das Geräusch, als sie ihn öffnete, um die Zitrone in den Tee zu träufeln. Sie schaute, wie sich der Tee mit der Zitrone vermengte. Er veränderte langsam seine Farbe. Wurde heller, als würden beide Flüssigkeiten einen Tanz aufführen, zu einer Melodie, die nur im Teeglas hörbar war. Sie hatte sich schon lange Zeit nicht mehr so wohl gefühlt. Wie war das möglich? Sie versuchte sich an die Einzelheiten des Gesprächs zu erinnern. Aber alles, woran sie sich erinnerte, waren einzelne Bruchstücke. Eins davon war, dass ihr innerer Antreiber sie schon von klein auf begleitete. Er kannte sie wirklich gut. Er hat nicht zufällig bei ihr halt gemacht. Er wurde ihr regelrecht „ins Ohr gesetzt“. Sätze aus ihrer Kindheit, die sie immer wieder gehört hatte, waren gepflanzt worden. Sie wuchsen und gediehen wie Unkraut. Nahmen von jedem Lebensbereich Besitz. Sie hatte die Sätze gehegt und gepflegt. Auf jedes „Du musst noch…!!!“ hatte sie gehorcht. Sich unterworfen. Sie hatte sich zur Sklavin machen lassen. Unbewusst und in bester Absicht. Angst ist ein treuer Begleiter und treibt zu Höchstleistungen. Ihr innerer Antreiber war mit ihr zusammen groß geworden. Er hatte auch etwas Positives: Er war immer da. Er hatte sie angetrieben und sie hatte viel geschafft. Wahrscheinlich hätte sie ohne ihn viel weniger erreicht. Sicherlich war er genauso müde wie sie. Vielleicht brauchte auch er mal eine Auszeit? Sie nippte an ihrem Tee. Er war heiß und schmeckte. Sie mochte diese blumige Note des Earl Grey Tees. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken schweiften zurück zum Gespräch. Sie wusste nicht mehr, wie sie darauf gekommen waren, eigentlich hatte sie wegen der Migräneanfälle ihren Hausarzt aufgesucht. Und plötzlich hörte sie, wie ihr Arzt sie fragte, ob sie ihren inneren Antreiber kennen würde. Sie war erschrocken gewesen und erinnerte sich, dass sie sofort ein Bild von einem grobschlächtigen Mann vor Augen gehabt hatte. Er hatte eine Peitsche in der Hand, grobe Stiefel an, einen dümmlichen Gesichtsausdruck und rief: „Du musst noch!“ Allein sein Bild vor Augen zu haben, ließ einen dumpfen Schmerz in ihrem Kopf entstehen. Parallel wuchs ein Kloß in ihrem Hals. Sie hatte den Arzt angeschaut und genickt. «Und, wie lange ist er schon bei ihnen?», hatte er gefragt. Daraufhin hatte sie nachdenken müssen. Sie wusste nicht, wie lange sie schweigend dort gesessen hatte. Der Antreiber ließ auf sich warten, bis er plötzlich mürrisch rief: «Du musst noch den Müll runter bringen!» Vorher war er einige Male laut stampfend auf und abgegangen. Es war ihm deutlich anzusehen gewesen, dass er wütend war. Sie spürte, wie eine alte Angst in ihrem Magen herauf kroch und sich schließlich in ihrem Nacken breit machte, um ihre Schultern nach vorne zu drücken. Als sie den Satz hörte, war ihr schlagartig bewusst: Er hatte die Stimme ihrer Mutter. Die Stimme passte nicht zum Bild des Sklaventreibers. Aber es war ihre Stimme. Der Antreiber hatte sich verraten, als er davon gesprochen hatte, dass der Müll runtergebracht werden sollte. Sie hatte als Kind den Müll runter bringen müssen, da sie in einem Hochhaus groß geworden war. Heute wohnte sie in einem eigenen Haus. Da brachte sie den Müll raus, nicht runter. Das war dem Antreiber entgangen. Er konnte nicht der Schlauste sein, war ein Gedanke, den sie gerne behalten hätte.

Als sie ihrem Arzt erzählt hatte, woher sie die Stimme kannte, hatte er ihr einen Vorschlag gemacht: «Schreiben sie drei Situationen auf, in denen ihr Antreiber laut wird. Beschreiben sie diese genau. Welche Emotionen werden dadurch in ihnen wach? Schreiben sie diese auf.» Damit hatte er sie entlassen. Das Erstaunliche war, jetzt wo sie auf dem Sofa saß und ihn hören solle, blieb ihr Antreiber stumm. Vielleicht fühlte er sich ertappt. Bestimmt war er feige und konnte nur im Verborgenen agieren. Sie brauchte in ihrem Gedächtnis nicht lange suchen, um eine Situation zu finden, in der der Antreiber besonders laut war. Morgens, direkt nach dem Aufwachen war er laut. Ihr wurde bewusst, dass er sie jeden Morgen weckte. So, wie sie es aus Kindertagen kannte. Das erste, was die Stimme sagte, wenn sie sich laut rumpelnd bemerkbar gemacht hatte war: «DU MUSST AUFSTEHEN!!!» Sie hatte die Stimme ihrer Mutter mitgenommen und ihr das Bild eines häßlichen inneren Antreibers gegeben. Das war eine schmerzliche Erkenntnis. Gerade das hatte sie zurück lassen wollen. Mitgenommen hatte sie ausgerechnet das, was ihr nicht gut tat. Und nun?

Abwarten und Tee trinken. Die Stille im Kopf genießen. Sie hob das Teeglas und bemerkte, dass beide Flüssigkeiten sich miteinander verbunden hatten. Sie nahm einen Schluck. Der Tee war noch warm. Wie schön es in ihrem Kopf zuging, wenn die häßliche Stimme fehlte. Es war so still. Friedlich. Ruhig. Das hatte sie geschafft. Wo war der Antreiber, wenn er sich nicht in ihrem Kopf Aufmerksamkeit verschaffte? Sie dachte darüber nach, was ihm wohl gefallen könnte und sah ihn plötzlich in einem Zimmer sitzen. Das Zimmer war in einer Souterainwohnung. Die Fenster waren mit Efeu bewachsen. Es war dunkel, aber sehr sauber. Die Einrichtung war spartanisch. Es gab nur einen großen weichen Sessel mit Fußhocker. Einen Tisch, auf dem Knabberein standen und einen großen Fernseher mit einer Fernbedienung. Ein Glas Sekt stand auf dem Tisch. Der Antreiber saß vor dem Fernseher und schaute eine dieser furchtbaren TV-Serien mit Hans Meiser. Er trug Kopfhörer, so konnte die Frau nur die bewegten Bilder sehen, aber nichts hören. Sie verließ den Raum und schloß leise die Tür von außen. Sofort war das innere Bild des Raums aus ihrem Kopf verschwunden. Sie schloss die Augen und sie hörte in sich hinein, nur um die Stille zu genießen. Der Antreiber saß vor dem Fernseher. Er hatte sich zurückgezogen und ließ es sich gut gehen. Sie gönnte es ihm. Wenn es ihm gut ging, ging es ihr auch gut. Jetzt wo er stumm und beschäftigt war, konnte sie in Ruhe darüber nachdenken, was er für ein Mensch war. Warum hatte er ihr versucht einzureden, dass sie schwach war. Sie hatte ihm sooft beweisen müssen, dass sie alles alleine konnte. Du kannst das sowieso nicht!  war neben Du muss noch! sein zweiter Lieblingssatz. Wahrscheinlich war das die Strategie des inneren Antreibers von seiner eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Selbst bekam er nichts alleine geregelt, außer andere immer klein zu machen. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie wahrscheinlich deswegen Menschen verabscheute, die andere immer wieder angriffen, um von der eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Sie musste an eine entfernte Bekannte denken, die gerne bei anderen immer den Finger in die Wunde legte. Man fühlte sich gezwungen, sich direkt zu verteidigen. Niemand war bis jetzt auf die Idee gekommen, diese Frau zu fragen, was mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten war. Alle waren sofort mit der eigenen Verteidigung beschäftigt. Das ging so weit, dass viele Menschen einen großen Bogen um diese Frau machten, da das Bedürfnis sich verteidigen zu müssen schon einsetzte, wenn die Frau nur in der Ferne am Horizont erschien. Wer andere immer klein macht, wird selbst nie groß sein.

Der Antreiber machte es genauso. Er sagte ihr ständig, was sie zu tun hatte und dass sie das gefälligst alleine tun solle. Hilfe durfte sie nicht annehmen, denn dann hätte sie bewiesen, dass sie es nicht konnte. Häh, Häh. Habe ich ja gleich gewusst. Du bist dafür zu doof!  Sagt jemand, der auf dem Sofa sitzt und hohle TV-Serien schaut, dachte sie. Sie stellte das leere Teeglas auf den Tisch. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster. Sie sah die Kirschblüten. Viele Blütenblätter rieselten zu Boden und bildeten einen dichten rosa Teppich. Sie konnte die Stille sehen. In diesem Moment wusste sie, dass sie durch das Bild der fallenden Blütenblätter die Stille in ihren Kopf zaubern konnte. Der Antreiber bekam davon nichts mit. Er war von Hans Meiser abgelenkt. Wer hätte gedacht, dass diese Fernsehserie für etwas gut sein konnte! Es dauerte, bis sie sich an der Stille satt gesehen hatte. Dann stand sie auf, bezahlte und ging. Den Antreiber nahm sie mit, aber er war noch nie so weit entfernt von ihr, wie heute.

 

Tide-Liebe

Wattwanderung.jpg-large

Es gibt Heisse-Liebe, Kalte-Liebe, Verflossene-Liebe, Neue-Liebe, Alte Liebe, die Liebe zum Detail, Hass-Liebe, Ewigeliebe, Eigen-Liebe, Große-Liebe, Vor-Liebe, Erste-Liebe, Wahre Liebe und Ware Liebe….und die Tide-Liebe.

Diese Tide-Liebe beschreibt meine persönliche Liebe zur Nordsee, welche  über die Meeres-Liebe hinaus. Da sie das Watt, Wind, Wetter, Grasstrände, Grasdünen und die Gezeiten mit einschließt.

Um die letzten Tage, Stunden und Minuten der zu vergehen drohenden Ferien besonders genießen zu können, gab ich der Tide-Liebe nach und presste das Schönste und Beste aus der verbleibenden Ferienzeit heraus: Ich verbrachte sie am Wattenmeer!

Heraus kam: Ruhe, Fahrradtouren, Zeit zum schreiben und Zeichnen…

Aber seht selbst, in Bildern sieht das so aus:

 

Ein neuer Tachelespodcast ist online: Tachelespodcast for Orlando

Berlin-for-Orlando

Den Berlinern ist es möglich, ihre Anteilnahme auf einer Solidaritätsveranstaltung Ausdruck zu verleihen. Vor der Amerikanischen Botschaft  wird es heute Abend (18.06.) einige ein paar kurze Ansprachen und die Verlesung der Opfernamen geben. Das Brandenburger Tor wird ab 21.45 in Regenbogenfarben erstrahlen, um ein Zeichen für Toleranz und Solidarität zu setzen.

Auch wir, Frau Dings und Herr Bumms, sind von dem Anschlag in Orlando auf einen Gay-Club zutiefst erschüttert, werden aber nicht so schnell nach Berlin kommen. Statt dessen haben wir uns überlegt, mit unserem Podcast ein Zeichen zu setzen und um 21.00 Uhr symbolisch an der Mahnwache teilzunehmen.

Nach einer kurzen Einleitung werden wir – I want to break free von Freddy Mercury spielen  und dies in einer Coverversion (GEMA Rechte sollen nicht verletzt werden) von der Ukrainischen Folk Gruppe Solo i Ludy. Diese verkörpert, so finden wir, die Lebensfreude die es braucht, um sich dieser überbordenden Gewalt und Menschenverachtung entgegenzustellen.

Euer Podcastteam Frau Dings und Herr Bumms.

Aktuelles politisches Geschehen und Strandkörbe

Schöne Welt

Das aktuelle politische Geschehen  macht Angst. Ob es die Ausschreitungen bei der EM sind, Orlando oder die dramatisch ansteigenden Angriffe auf nicht deutsche Einrichtungen, Restaurants oder Unterkünfte.

2015: Dramatischer Anstieg von Gewalt gegen Flüchtlinge

Wo das alles hinführen wird, bringt die Zukunft. Weg führt es von der Freiheit, Toleranz und vom friedlichen Miteinander.

In meinen Wattenmeerelfen -Geschichten finden die Elfen Zuflucht unter Strandkörben.  Vielleicht sollte ich mal frsgen, ob noch ein Plätzchen frei ist.