Von Konstanten im Leben oder: Jeder sollte eine Tante Fine haben!

Meine Tante Fine ist eine patente Frau von fast achtzig Jahren. Als ältere Schwester meines Vaters begleitet sie mich als weibliche Konstante durch mein Leben, solange ich denken kann. Da meine Mutter als immer wiederkehrende Leerstelle allenfalls als Randnotiz mein Leben streifte, ist Tante Fine die liebevolle Frau in meinem Leben, der ich mich verbunden fühle. Tante Fine verfügt über einen unerschöpflichen Fundus hilfreicher Lebensweisheiten, an der sie ihre Umwelt teilhaben lässt. Zu passenden und unpassenden Zeiten. Für mich war sie die Mama, die ich nie hatte, weil es meine biologische Mutter vorzog sich um die wirklich wichtigen Personen in ihrem Leben zu kümmern: An erster Stelle war das sie selbst. Das war kein Verlust- es gab ja Tante Fine.

Erst kümmerte sie sich um ihren kleinen Bruder (meinen Vater), dann um mich. Wobei kümmern in diesem Zusammenhang irreführend ist. Sie war da, wenn sie gebraucht wurde. Wenn ich mal eine schlechte Note in Mathematik schrieb, was mein Vater kaum verstehen konnte, da er leidenschaftlich mit mir die Rechenoperationen geübt hatte, stand Tante Fine bereit. Mit warmen Kakao bewaffnet, trocknete sie die Tränen bei mir. Bei ihrem Bruder reichte ein aufmunternder Klaps auf die Schulter und der mit Gewissheit getränkte Satz, dass es schon noch besser werden würde. Mit mir und dieser vermaledeiten Mathematik. Aus heutiger Sicht hatte meine Tante damit nur ein bisschen recht. Mathematik und ich sind keine Freunde geworden. Aber da befinde ich mich sicher in guter Gesellschaft. Der Mathematik ist es egal – mir mittlerweile auch. Fast.

Tante Fine ist der Beweis, das älter werden eine lohnende Sache ist. Tante Fine ist die glücklichste Person, die ich kenne und wenn ich es recht bedenke, war sie das schon immer. Aber jetzt, wo sie alt ist, meint sie, dass sie ungeniert allen ihren Wünschen nachgehen kann. Was soll passieren? Sie könnte dabei vielleicht sterben? Da lacht sie jedesmal und meint, dass sie, was das Sterben anbelangt, in der ersten Reihe sitzt. Ich habe jedesmal einen Kloß im Hals, wenn sie das sagt. Meistens nimmt sie dann die Flasche Amaretto aus dem Schrank und gießt sich ein kleines Schnapsglas voll. Dann lächelt sie mich an und sagt: »Prost meine Liebe – auf das Leben!«

Ich finde, jeder sollte eine Konstante im Leben haben, wie Tante Fine! Aber meine gebe ich nicht her. Genauso wenig, wie meine älteste Freundin Sanne, aber davon später.

2 Gedanken zu „Von Konstanten im Leben oder: Jeder sollte eine Tante Fine haben!

  1. Hiltrud

    Wieder sehr erfrischend geschrieben, liebe Andrea. Und ich erkenne mich darin auch ein wenig wieder…
    LG Hiltrud 💕💐🌄

    Antwort

Hinterlasse einen Kommentar