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Deutschlandticket ohne Bahn

1970 – als die Bahnwelt noch in Ordnung war

Das Deutschlandticket ist da. Ich freue mich. Auch wenn ich es nicht in den Händen halten kann, sondern sich nur den QR-Code auf dem Handy in der APP betrachten lässt. In ganz Deutschland kann ich damit fahren. In ganz Deutschland? Ja, in ganz Deutschland – überall wo es Busse und Bahnen gibt. Und da fängt der Ärger an. In dem Dorf, in dem ich wohne, fährt am Wochenende schon mal kein Bus. Regulär fährt er nicht. Ist einfach nicht vorgesehen – mein Dorf hat Samstag und Sonntag keinen Linienbus. Aber ich kann einen Multibus buchen. Jetzt sogar online. Und er kommt. Wenn er noch frei ist und wenn er nicht schon früher fährt und wenn… Je früher gebucht, desto größer die Chancen, ihn zu bekommen. Aber ich bin Überzeugungstäterin. Mit dem Deutschlandticket komme ich überall hin. So dachte ich, als ich gestern nach Neuss zu einem Termin musste. Toll ist die DB Navi APP. Hier kann man schon zwei Stunden vorher erkennen, wenn die Bahn Verspätung hat. Oder ganz ausfällt. Oder, wie gestern, ein Schienenersatzverkehr eingesetzt wird. Und schon ist er da, der Zeitdruck. Ich wollte mit dem RE 4 nach Neuss fahren, der immer zur vollen Stunde fährt. Da der Schienenersatzverkehr länger braucht, fuhr er eine halbe Stunde vorher. Dank der APP wusste ich das und raste los, um rechtzeitig im Bus zu sitzen. Das schaffte ich – gerade so. Danke liebe Bahn! Danke für die App und danke für den Bus. Was würde ich darum geben, wenn die Bahn einmal!!!!!!!!!!!!pünktlich und wie geplant käme und dann fährt, wann sie fahren soll. Ich wünsche mir die „guten alten Zeiten“ nicht zurück. Bei der Bahn würde ich eine Ausnahme machen.

Wenn es dunkel wird bei Tante Fine

Wenn es dunkel wird, fragt sich so mancher, wo der Schlaf bleibt. Was macht er, während er seinen Dienst am Menschen versagt? Lauert er im Schrank und lacht sich ins Fäustchen? Vielleicht schleicht sich der Schlaf auch leise an, krabbelt auf die Bettkante und im Moment des Einschlafens seiner Opfer springt er laut lachend vom Bett und verkriecht sich unauffindbar.

Meiner Tante Fine ist das egal. Während sie in jungen Jahren häufig das Wachsein in nächtlichen Stunden quälte, hat das Älterwerden für Ruhe in den Nächten gesorgt. Nicht, dass Tante Fine nun immer durchschläft. Ganz und gar nicht. Sie spricht häufig von seniler Bettflucht und dass sie viel weniger Schlaf braucht, als noch vor ein paar Jahren. Geändert hat sich ihre Einstellung. Sie behauptet, dass sie sich mittlerweile freut, wenn Sie nachts nicht schlafen kann. Die Nacht wäre so schön ruhig. Alles liegt da, wie in eine Decke aus Ruhe gehüllt. Fehlende Geräusche und wenn Sie dann in den Garten mit einer Tasse Tee geht, hört sich die welt ganz anders an. Außerdem behauptet sie steif und fest, dass sie dann die besten Gedanken und Ideen hat. Auf meine Frage, ob sie nach solchen nächtlichen Wachphasen nicht am darauffolgenden Tag müde würde, zuckt sie mit den Schultern. Es ist ihr egal, dann legt sie sich einfach hin und nickert ein Stündchen auf dem Sofa.

Da ist er, der Haken! Wer kann das schon? Berufstätige und Eltern kleiner Kinder leider nicht. Trotzdem nehme ich mir vor, die nächste durchwachte Nacht für mich zu nutzen. Müde bin ich am nächsten Tag auf jeden Fall. Aber ob ich die nächtlichen wachen Stunden damit verbringe, mich über den fehlenden Schlaf aufzuregen oder die nächtliche Stille mit Tee und Lauschen erkunde, liegt in meiner Entscheidung. Dann gibt es wenigstens einen schönen Grund zum Müdesein.

Von Konstanten im Leben oder: Jeder sollte eine Tante Fine haben!

Meine Tante Fine ist eine patente Frau von fast achtzig Jahren. Als ältere Schwester meines Vaters begleitet sie mich als weibliche Konstante durch mein Leben, solange ich denken kann. Da meine Mutter als immer wiederkehrende Leerstelle allenfalls als Randnotiz mein Leben streifte, ist Tante Fine die liebevolle Frau in meinem Leben, der ich mich verbunden fühle. Tante Fine verfügt über einen unerschöpflichen Fundus hilfreicher Lebensweisheiten, an der sie ihre Umwelt teilhaben lässt. Zu passenden und unpassenden Zeiten. Für mich war sie die Mama, die ich nie hatte, weil es meine biologische Mutter vorzog sich um die wirklich wichtigen Personen in ihrem Leben zu kümmern: An erster Stelle war das sie selbst. Das war kein Verlust- es gab ja Tante Fine.

Erst kümmerte sie sich um ihren kleinen Bruder (meinen Vater), dann um mich. Wobei kümmern in diesem Zusammenhang irreführend ist. Sie war da, wenn sie gebraucht wurde. Wenn ich mal eine schlechte Note in Mathematik schrieb, was mein Vater kaum verstehen konnte, da er leidenschaftlich mit mir die Rechenoperationen geübt hatte, stand Tante Fine bereit. Mit warmen Kakao bewaffnet, trocknete sie die Tränen bei mir. Bei ihrem Bruder reichte ein aufmunternder Klaps auf die Schulter und der mit Gewissheit getränkte Satz, dass es schon noch besser werden würde. Mit mir und dieser vermaledeiten Mathematik. Aus heutiger Sicht hatte meine Tante damit nur ein bisschen recht. Mathematik und ich sind keine Freunde geworden. Aber da befinde ich mich sicher in guter Gesellschaft. Der Mathematik ist es egal – mir mittlerweile auch. Fast.

Tante Fine ist der Beweis, das älter werden eine lohnende Sache ist. Tante Fine ist die glücklichste Person, die ich kenne und wenn ich es recht bedenke, war sie das schon immer. Aber jetzt, wo sie alt ist, meint sie, dass sie ungeniert allen ihren Wünschen nachgehen kann. Was soll passieren? Sie könnte dabei vielleicht sterben? Da lacht sie jedesmal und meint, dass sie, was das Sterben anbelangt, in der ersten Reihe sitzt. Ich habe jedesmal einen Kloß im Hals, wenn sie das sagt. Meistens nimmt sie dann die Flasche Amaretto aus dem Schrank und gießt sich ein kleines Schnapsglas voll. Dann lächelt sie mich an und sagt: »Prost meine Liebe – auf das Leben!«

Ich finde, jeder sollte eine Konstante im Leben haben, wie Tante Fine! Aber meine gebe ich nicht her. Genauso wenig, wie meine älteste Freundin Sanne, aber davon später.

Ein neuer Tachelespodcast ist online! Folge 110: Was tun bei Gewalt gegen Frauen?

In dieser Folge beschäftigen wir uns mit dem Thema Feminizid. Wir möchten an dieser Stelle eine Triggerwarnung aussprechen. Wir wünschen euch eine interessante Sendung.

Tachelespodcast.de

Hier findet ihr, falls ihr von Gewalt in der Partnerschaft betroffen sein solltet, Hilfe:

CORA – Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche und sexualisierte Gewalt
http://www.cora-mv.de
Tel.: (0381) 40 10 229
Mail: cora@stark-machen.de

Gewalt gegen Frauen – bundesweites Hilfetelefon
(0800) 01 16 016 (24 Stunden am Tag besetzt)

Hilfenetz in MV (Frauenhäuser, Beratungsstellen, Interventionsstellen, Männer- und Gewaltberatung)
http://www.gewaltfrei-zuhause-in-mv.de

Die Links zur Folge:

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/frauenmorde-an-jedem-dritten-tag-ein-femizid-100.html

https://www.ndr.de/kultur/Femizide-in-Deutschland-Fallzahlen-gehen-2021-leicht-zurueck,femizid100.html

https://www.tagesschau.de/wissen/klima/exxon-klima-folgen-studie-101.html

https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-schlag-ins-herz-100.html

https://amp.zdf.de/nachrichten/politik/gewalt-partnerschaften-statistik-faeser-100.html

https://www.tagesschau.de/inland/haeusliche-gewalt-bka-statistik-101.html

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/11/bka-partnerschaftsgewalt.html

Haltungsfragen-Eine Geschichte aus der Nachbarschaft

Wir wohnen in einer kleinen Nebenstraße. Unser kleines Häuschen ist eingebettet in eine Straße, die aus zusammengewürfelten Immobilien besteht. Ein bunter Strauß der Wohnmöglichkeiten. Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser tummeln sich aneinandergereiht zwischen mageren Grünflächen. Als hätte ein Kleinkind auf der Anlage seiner Modelleisenbahn die übrig gebliebenen Häuser nach Lust und Laune hingeworfen. Neben unserem kleinen Hexenhäuschen, steht zum Beispiel die stattliche Villa der Familie Stertz. Frau Stertz mag ich. Sie ist eine sehr angenehme Person. Den ganzen Tag zu Hause, kümmert sie sich liebevoll um ihr Haus und das Anwesen. Früher auch noch um die Kinder, aber die haben zum Studieren das Weite gesucht. Seit dem wohnt Ferdi bei Familie Stertz. Ferdi ist ein Rauhaardackel, der so lang wie breit ist und sich über alles und jeden freut. Vorzugsweise über alles, was Hunde nicht fressen sollten. Aber auch über jede streichelnde Hand. Am liebsten das des Frauchens, weshalb er sich ihr immer in den Weg stellt, wenn sie zum Beispiel versucht dem Unkraut im Garten beizukommen. Und wenn sie schon mal dabei ist, häusliche Pflichten zu erledigen, übernimmt sie manchmal auch unsere. Sie rollt nicht nur ihre eigene Mülltonne zuverlässig zum richtigen Termin heraus auf die krumme Straße, auch unsere wird mit dazu gestellt. Wir vergessen das oft oder stellen die Tonne zum falschen Termin an den Straßenrand. Frau Stertz rollt dann beide Tonnen wieder an ihren häuslichen Platz. Ohne Kommentar. Ohne Verbesserungsvorschläge. Sie nimmt wortlos hin, dass wir andere Qualitäten haben und Termine überblicken zu ihren Kompetenzen zählt. Dafür wird Frau Stertz stets mit einem Stück Kuchen bedacht, wenn ich Käsekuchen backe. Insgesamt verbindet uns eine gute Nachbarschaft. Das ist nicht selbstverständlich. Frau Stertz und ich wissen das. Manchmal übernehme ich den Spaziergang mit Ferdi, wenn Frau Stertz mal krank ist oder sie mit ihrem Mann ins Theater geht. Ferdi freut das, glaube ich. Bei uns darf er auf dem Sofa sitzen und es gibt Hunde-Leckerchen, mit denen er sich arrangiert hat. Menschen-Leckerchen wären ihm lieber, aber bevor er gar nichts bekommt, nimmt er das, was er kriegen kann.

Ein völlig anderes Verhältnis haben wir zu unserem Nachbarn gegenüber. Ich würde das passenderweise als Nicht-Verhältnis beschreiben. Das Haus, das unserem gegenüber in der Straße steht, ist ein Mehrfamilienhaus. Vier Wohnungen finden sich unter dem roten Dach. Besagter Nachbar mit dem Allerweltsnamen Herr Meier wohnt rechts unten und ist Eigentümer des Hauses. Die drei anderen Wohnungen sind vermietet. Die Mieter sind Lastwagenfahrer, Pilot und Krankenschwester und ihren Berufen entsprechend wenig zu Hause. Da haben sie meines Erachtens viel Glück gehabt, denn Herr Meier ist ein Unsympath. Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Meinung. Bestimmt gibt es Menschen, die Herrn Meier schätzen. Für was, kann ich mir jedoch nicht vorstellen.

Herr Meier ist der Nachbar, den man niemanden wünscht. Er lässt seinen Hund morgens einfach vor die Tür und es scheint ihn nichts anzugehen, dass sein Vierbeiner bei den Nachbarn (also zum Beispiel in unserem Vorgarten) seine Notdurft verrichtet. Er nimmt keine Pakete für die Nachbarn an, parkt Einfahrten zu und hat noch nie einen der Nachbarn gegrüßt. Er kümmert sich nicht um Bäume und Hecken, die auf seinem Grundstück wachsen, was bei seinen Nachbarn rechts und links zu gewissem Unwillen führte. Schließlich müssen sie sich um ausufernde und über den Zaun herüberwachsende Büsche und Bäume des Nachbargrundstücks kümmern. Dies ist nicht nur Zeit- und Kostenintensiv, es ist einfach ärgerlich. Herrn Meier interessiert das nicht. Er wohnt isoliert von seinem Umfeld in seiner Welt. Meiner Ansicht nach genau so, wie er es möchte. Weit ab vom Leben seiner Nachbarn. Die würden sich das auch wünschen. Ein Leben ohne Herrn Meier – aber so viel Glück haben wir leider nicht.

Herr Meier ist ein Mann, der schätzungsweise um die sechzig ist. Bis jetzt war er gut zu Fuß und sah rüstig aus. Allerdings scheint er seit dieser Woche einen Haltungsschaden zu haben. Frau Stertz ist das auch aufgefallen. Sie tippt auf einen Bandscheibenvorfall. Ihr Mann Jochen hatte das auch schon mal und bewegte sich genauso fort, wie das Herr Meier nun auch tut. Wie auf Eiern balancierend schiebt er sich auf der Straße Stück für Stück über den Asphalt. Viel Strecke macht er dabei nicht. Wenn er seinen Hund nicht schon bei den Nachbarn sein Geschäft erledigen lassen würde, wahrscheinlich würde er jetzt damit anfangen. Denn an spazieren gehen, ist jetzt nicht mehr zu denken. Herr Meier kann froh sein, dass er es von der Haustür bis zum Auto schafft. Seine Körperhaltung ist miserabel und es scheint so, dass er um zwanzig Zentimeter geschrumpft ist.

Bei Herrn Meier muss man sich jedenfalls nicht fragen was zuerst da war: Die innere miese Haltung oder die äußere? Das Innere war schon morsch – da musste der Körper nur noch nachziehen. Ich würde mir wünschen, dass es Herrn Meier bald besser geht. Wenn sein Körper es hinbekommt wieder Haltung zu bewahren, dann klappt es vielleicht auch mal mit der inneren Haltung. Vielleicht rege ich das mal an, wenn ich ihn das nächste Mal auf der Straße sehe, er mich nicht grüßt, dafür aber meine Einfahrt blockiert. Aber erst, wenn Herr Meier wieder gerade gehen kann.