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Wenn es dunkel wird bei Tante Fine

Wenn es dunkel wird, fragt sich so mancher, wo der Schlaf bleibt. Was macht er, während er seinen Dienst am Menschen versagt? Lauert er im Schrank und lacht sich ins Fäustchen? Vielleicht schleicht sich der Schlaf auch leise an, krabbelt auf die Bettkante und im Moment des Einschlafens seiner Opfer springt er laut lachend vom Bett und verkriecht sich unauffindbar.

Meiner Tante Fine ist das egal. Während sie in jungen Jahren häufig das Wachsein in nächtlichen Stunden quälte, hat das Älterwerden für Ruhe in den Nächten gesorgt. Nicht, dass Tante Fine nun immer durchschläft. Ganz und gar nicht. Sie spricht häufig von seniler Bettflucht und dass sie viel weniger Schlaf braucht, als noch vor ein paar Jahren. Geändert hat sich ihre Einstellung. Sie behauptet, dass sie sich mittlerweile freut, wenn Sie nachts nicht schlafen kann. Die Nacht wäre so schön ruhig. Alles liegt da, wie in eine Decke aus Ruhe gehüllt. Fehlende Geräusche und wenn Sie dann in den Garten mit einer Tasse Tee geht, hört sich die welt ganz anders an. Außerdem behauptet sie steif und fest, dass sie dann die besten Gedanken und Ideen hat. Auf meine Frage, ob sie nach solchen nächtlichen Wachphasen nicht am darauffolgenden Tag müde würde, zuckt sie mit den Schultern. Es ist ihr egal, dann legt sie sich einfach hin und nickert ein Stündchen auf dem Sofa.

Da ist er, der Haken! Wer kann das schon? Berufstätige und Eltern kleiner Kinder leider nicht. Trotzdem nehme ich mir vor, die nächste durchwachte Nacht für mich zu nutzen. Müde bin ich am nächsten Tag auf jeden Fall. Aber ob ich die nächtlichen wachen Stunden damit verbringe, mich über den fehlenden Schlaf aufzuregen oder die nächtliche Stille mit Tee und Lauschen erkunde, liegt in meiner Entscheidung. Dann gibt es wenigstens einen schönen Grund zum Müdesein.

Das ist ja lächerlich! Die Bahn.

Die Bahn hat es schwer – ihr Ruf ist nicht so doll. Alle schimpfen über die Unpünktlichkeit und es gibt kaum jemanden, der nicht über die Entgleisungen der Bahn berichtet, wenn dieser jemand gegen Entgelt die Dienste der Bahn in Anspruch nimmt.

Das heutige Erlebnis mit der Bahn zeigt – die Bahn ist viel schlechter als ihr Ruf.

Auf meiner Haus- und Hof-Strecke zwischen Erkelenz und Düsseldorf kommt es aktuell zu Schwierigkeiten. Dem Internet ist zu entnehmen: Aufgrund von Baugeschehen, aber auch durch unvorhergesehenen Abweichungen (WAS soll das denn bitte sein???), kann es zu Änderungen im Fahrplan kommen. (avv.de).

Aber die Bahn sorgt für Schienenersatzverkehr (SEV). Anstelle einer Bahn, die ihre Mitfahrer von A nach B bringt, werden Busse eingesetzt. In meinem Fall sollte mich heute der SEV von Erkelenz nach Mönchengladbach-Rheydt bringen. Nicht nur mich, noch ca 10 andere Mitfahrer wollten ebenfalls nach Rheydt. Jetzt könnte man sich freuen, was will man da, aber das muss jeder selbst entscheiden. Entscheidend ist an dieser Stelle: Es stand als Ziel auf der Frontseite des Busses: SEV RB 33 Mönchengladbach-Rheydt.

Der Busfahrer schaute auf mein Handyticket (Ziel: Düsseldorf), und beantwortete meine Frage: „Fahren sie nach Mönchengladbach-Rheydt?“ mit einem Nicken. Ich setzte mich und freute mich darüber, dass ich einen Bus früher bekommen hatte. Der Bus setzte sich in Bewegung. Nach zwei Minuten fragte ich mich, warum er am Kreisel falsch abgebogen war, tröstete mich aber mit dem Gedanken, dass er sicher über die B57 fahren würde. Dann bog er wieder falsch ab. Weil der Bus exakt in die falsche Richtung fuhr, fragte ich den jungen Mann hinter mir, ob der Bus nicht nach Rheydt fahren würde. Der Mann sagte, dass er da auch hin wolle und ebenfalls nicht verstehen konnte, warum der Bus in die falsche Richtung fuhr. Als wir dann auch noch in ein kleines Dorf fuhren, stellte auch der Busfahrer fest, dass er falsch gefahren war und wendete, um dann im Kreisel, wieder falsch abzubiegen. Ich war ratlos. Der Mann hinter mir auch. Er ging nach vorne, um dem Busfahrer zu sagen, dass er falsch fuhr. Der Busfahrer ignorierte das. Nach Rheydt ginge es auf diesem Weg.

Allerdings waren wir Mitfahrer uns einig, dass das der falsche Weg war. Die B57 war schon mal eine gute Idee, wenn jetzt der Fahrer noch in die andere Richtung gefahren wäre – TOLL!

Nachdem wir mit sattem Tempo immer noch in die falsche Richtung fuhren, ging ich nach vorn und sagte dem Fahrer, dass er in die falsche Richtung fahren würde. Wenn er nach Mönchengladbach-Rheydt fahren wolle, dann müsste er umdrehen und genau in die andere Richtung fahren. Leider stellte sich heraus, dass der Fahrer der deutschen Sprache nicht mächtig war. Er reagierte unwirsch, gestikulierte wild und sagte immer wieder Rheydt. Ich sagte ihm, dass er in dieser Richtung nicht nach Rheydt, sondern nach Geilenkirchen kommen würde. „Ja, Geilenkirchen!“, war seine Antwort.

„Ja was denn nun? Rheydt oder Geilenkirchen?“ Ich merkte, wie ich lauter wurde.

„Geilenkirchen!“

„Ich habe sie gefragt, ob sie nach Rheydt fahren und sie antworteten, dass sie nach Rheydt fahren!“

„Musst du gucken!“, sagte der Busfahrer und gestikulierte nach draußen und wiederholte seinen rudimentären Satz.

„Ist mir scheißegal, ob ich gucken muss. Sie fahren in die falsche Richtung! Draußen steht Rheydt, sie wissen nicht wo es lang geht!“

Ich packte meine Sachen zusammen und informierte die anderen Fahrgäste, dass auch sie nicht nach Rheydt kommen würden, da der Busfahrer sich entschieden hätte, nach Geilenkirchen zu fahren. Dann forderte ich den Fahrer auf, mich sofort aus dem Bus zu lassen.

Außer mir stiegen auch die anderen Mitfahrer aus. Der Busfahrer ist dann wahrscheinlich allein nach Geilenkirchen gefahren. Wahrscheinlich hat sich sein Kollege gewundert, der tatsächlich nach Geilenkirchen fuhr. Der Bus war fahrplanmäßig 6 Minuten vorher in Erkelenz abgefahren.

Ich war dann noch 45 Minuten zu Fuß unterwegs, um nach Hause zu kommen. Dann nochmal dreißig Minuten, um wieder den Bahnhof zu erreichen, damit im Kundencenter meinen Ärger Luft gemacht werden konnte. Den ganzen Nachmittag war ich unterwegs, aber hatte nichts von dem erreicht, was ich wollte! Einfach nur ärgerlich und das alles wegen eines Mannes, der erstens nicht weiß, wo es lang geht und zweitens sich nichts sagen lassen konnte.

Als ich dem Herrn am Schalter des Kundencenters der Bahn anfing zu erzählen, dass der Busfahrer in die falsche Richtung gefahren war, sagte er: „Ach, dann sind sie sicher die Frau, die in Baal ausstieg?“ Ich war perplex und konnte nur nicken. Einer meiner Mitreisenden war schon vor mir da gewesen, um seine Fahrkarte umzutauschen. Der hatte unser Desaster schon ausgiebig erzählt. Ich legte dem verständnisvollen Mann meine Fahrkarte vor und auch diese konnte umgebucht werden. Vielleicht klappt es ja doch noch, dass ich ohne Auto nach Düsseldorf komme – wer weiß?

Es gibt auch tolle Mitarbeiter bei der Bahn, man muss sie nur finden.

Adventskalender mit guten Nachrichten

Im letzten Jahr gab es als Adventskalender gute Nachrichten. An jedem Tag fand sich eine gute Nachricht als Blogeintrag. In diesem Jahr gibt es gute Nachrichten für die Ohren. Auf dem Tachelespodcast, den ich mit Jakob gemeinsam gestalte, gibt es jeden Tag eine gute Nachricht, die man sich anhören kann.

Bis jetzt gab es gute Nachrichten für Fahrradfahrer und für alle , die sich Sorgen um den Gevatter Rhein gemacht haben. Mal sehen, was es heute gibt. Nachhören könnt ihr das hier:

https://tachelespodcast.de

Viel Spaß beim Hören!

Haltungsfragen-Eine Geschichte aus der Nachbarschaft

Wir wohnen in einer kleinen Nebenstraße. Unser kleines Häuschen ist eingebettet in eine Straße, die aus zusammengewürfelten Immobilien besteht. Ein bunter Strauß der Wohnmöglichkeiten. Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser tummeln sich aneinandergereiht zwischen mageren Grünflächen. Als hätte ein Kleinkind auf der Anlage seiner Modelleisenbahn die übrig gebliebenen Häuser nach Lust und Laune hingeworfen. Neben unserem kleinen Hexenhäuschen, steht zum Beispiel die stattliche Villa der Familie Stertz. Frau Stertz mag ich. Sie ist eine sehr angenehme Person. Den ganzen Tag zu Hause, kümmert sie sich liebevoll um ihr Haus und das Anwesen. Früher auch noch um die Kinder, aber die haben zum Studieren das Weite gesucht. Seit dem wohnt Ferdi bei Familie Stertz. Ferdi ist ein Rauhaardackel, der so lang wie breit ist und sich über alles und jeden freut. Vorzugsweise über alles, was Hunde nicht fressen sollten. Aber auch über jede streichelnde Hand. Am liebsten das des Frauchens, weshalb er sich ihr immer in den Weg stellt, wenn sie zum Beispiel versucht dem Unkraut im Garten beizukommen. Und wenn sie schon mal dabei ist, häusliche Pflichten zu erledigen, übernimmt sie manchmal auch unsere. Sie rollt nicht nur ihre eigene Mülltonne zuverlässig zum richtigen Termin heraus auf die krumme Straße, auch unsere wird mit dazu gestellt. Wir vergessen das oft oder stellen die Tonne zum falschen Termin an den Straßenrand. Frau Stertz rollt dann beide Tonnen wieder an ihren häuslichen Platz. Ohne Kommentar. Ohne Verbesserungsvorschläge. Sie nimmt wortlos hin, dass wir andere Qualitäten haben und Termine überblicken zu ihren Kompetenzen zählt. Dafür wird Frau Stertz stets mit einem Stück Kuchen bedacht, wenn ich Käsekuchen backe. Insgesamt verbindet uns eine gute Nachbarschaft. Das ist nicht selbstverständlich. Frau Stertz und ich wissen das. Manchmal übernehme ich den Spaziergang mit Ferdi, wenn Frau Stertz mal krank ist oder sie mit ihrem Mann ins Theater geht. Ferdi freut das, glaube ich. Bei uns darf er auf dem Sofa sitzen und es gibt Hunde-Leckerchen, mit denen er sich arrangiert hat. Menschen-Leckerchen wären ihm lieber, aber bevor er gar nichts bekommt, nimmt er das, was er kriegen kann.

Ein völlig anderes Verhältnis haben wir zu unserem Nachbarn gegenüber. Ich würde das passenderweise als Nicht-Verhältnis beschreiben. Das Haus, das unserem gegenüber in der Straße steht, ist ein Mehrfamilienhaus. Vier Wohnungen finden sich unter dem roten Dach. Besagter Nachbar mit dem Allerweltsnamen Herr Meier wohnt rechts unten und ist Eigentümer des Hauses. Die drei anderen Wohnungen sind vermietet. Die Mieter sind Lastwagenfahrer, Pilot und Krankenschwester und ihren Berufen entsprechend wenig zu Hause. Da haben sie meines Erachtens viel Glück gehabt, denn Herr Meier ist ein Unsympath. Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Meinung. Bestimmt gibt es Menschen, die Herrn Meier schätzen. Für was, kann ich mir jedoch nicht vorstellen.

Herr Meier ist der Nachbar, den man niemanden wünscht. Er lässt seinen Hund morgens einfach vor die Tür und es scheint ihn nichts anzugehen, dass sein Vierbeiner bei den Nachbarn (also zum Beispiel in unserem Vorgarten) seine Notdurft verrichtet. Er nimmt keine Pakete für die Nachbarn an, parkt Einfahrten zu und hat noch nie einen der Nachbarn gegrüßt. Er kümmert sich nicht um Bäume und Hecken, die auf seinem Grundstück wachsen, was bei seinen Nachbarn rechts und links zu gewissem Unwillen führte. Schließlich müssen sie sich um ausufernde und über den Zaun herüberwachsende Büsche und Bäume des Nachbargrundstücks kümmern. Dies ist nicht nur Zeit- und Kostenintensiv, es ist einfach ärgerlich. Herrn Meier interessiert das nicht. Er wohnt isoliert von seinem Umfeld in seiner Welt. Meiner Ansicht nach genau so, wie er es möchte. Weit ab vom Leben seiner Nachbarn. Die würden sich das auch wünschen. Ein Leben ohne Herrn Meier – aber so viel Glück haben wir leider nicht.

Herr Meier ist ein Mann, der schätzungsweise um die sechzig ist. Bis jetzt war er gut zu Fuß und sah rüstig aus. Allerdings scheint er seit dieser Woche einen Haltungsschaden zu haben. Frau Stertz ist das auch aufgefallen. Sie tippt auf einen Bandscheibenvorfall. Ihr Mann Jochen hatte das auch schon mal und bewegte sich genauso fort, wie das Herr Meier nun auch tut. Wie auf Eiern balancierend schiebt er sich auf der Straße Stück für Stück über den Asphalt. Viel Strecke macht er dabei nicht. Wenn er seinen Hund nicht schon bei den Nachbarn sein Geschäft erledigen lassen würde, wahrscheinlich würde er jetzt damit anfangen. Denn an spazieren gehen, ist jetzt nicht mehr zu denken. Herr Meier kann froh sein, dass er es von der Haustür bis zum Auto schafft. Seine Körperhaltung ist miserabel und es scheint so, dass er um zwanzig Zentimeter geschrumpft ist.

Bei Herrn Meier muss man sich jedenfalls nicht fragen was zuerst da war: Die innere miese Haltung oder die äußere? Das Innere war schon morsch – da musste der Körper nur noch nachziehen. Ich würde mir wünschen, dass es Herrn Meier bald besser geht. Wenn sein Körper es hinbekommt wieder Haltung zu bewahren, dann klappt es vielleicht auch mal mit der inneren Haltung. Vielleicht rege ich das mal an, wenn ich ihn das nächste Mal auf der Straße sehe, er mich nicht grüßt, dafür aber meine Einfahrt blockiert. Aber erst, wenn Herr Meier wieder gerade gehen kann.

Auf in den Kampf: Mit Stricknadeln gegen den inneren Schweinehund!

Wer kennt ihn nicht, den inneren Schweinhund. So verschieden er daher kommen mag, sein Ziel ist ist überall ähnlich: Er hält uns ab, von was auch immer.

Er setzt sich gedanklich auf die Sportschuhe und suggeriert, dass körperliche Ertüchtigung überschätzt wird. Er weist uns den Weg des geringsten Wiederstandes und preist die schnelle Belohnung. Abends, wenn er schläft und endlich Ruhe gegeben hat, erahnen wir, dass er ein Lügner und Betrüger ist. Nicht, dass wir es schon erahnt hätten, im Bett kommt das schlechte Gewissen und bringt es auf den Punkt: Wir hätten es wissen müssen – schließlich belügt der olle Schweinhund uns nicht das erste Mal.

Meine Freundin Lena hat einen Schweinehund in sich, der ihr immer genau das ins Ohr flüstert, was sie gerade am wenigsten brauchen kann. Am meisten braucht Lena als vollbeschäftigte alleinerziehende Mutter Entspannung. Freie Zeit käme ihr da gerade recht, wenn sie denn den Weg zu Lena fände. Was sie leider bis jetzt noch nicht geschafft hat. Aber da die freie Zeit nicht auf Bäumen wächst, versucht Lena soviel freie Minuten wie möglich aus ihrem vollen Tag herauszuschlagen. Ein Kampf – sie könnte vielleicht nachts um drei aufstehen und eine ganze halbe Stunde entspannen. Wenn die Kinder schlafen und keine Termine die Entspannung blockieren. Aber Lena schläft lieber, wer mag es ihr verdenken. Sie hat es auch schon mit früher aufstehen probiert, aber auch das fiel ihr schwer. Zeit für sich findet sie an guten Tagen, wenn sie zwischen Arbeit beenden, einkaufen und Kinder im Kindergarten abholen, die Einkäufe nach Hause bringt. Wenn sie gut in der Zeit liegt, bleiben einige Minuten für sie übrig. Für sie ganz allein. Dann kann es losgehen mit der Entspannung. Ab aufs Meditationskissen, alle Gedanken ziehen lassen, einatmen und ausatmen….Und da ist er schon: Der innere Schweinehund, der geifernd und röchelnd sein Gift versprüht:

Rabenmutter – warum holst du deine Kinder nicht früher ab? Immer denkst du nur an Dich. Das klappt doch sowieso nicht mit der Entspannung. Was willst du eigentlich heute kochen? Hast du nicht den Ingwer beim Einkaufen vergessen?

An gute Tagen versucht sie sich an das zu erinnern, was sie gelernt hat, nämlich Gedanken und röchelnde Schweinehunde ziehen zu lassen. An schlechten Tagen beugt sie sich seinen Anweisungen und besinnt sich auf ihre mütterlichen Pflichten, steigt ins Auto und holt die Kinder früher ab. Nicht selten sind diese in ein inniges Spiel vertieft und wollen nur noch eben schnell zu Ende spielen. Man sollte meinen, dass der Schweinehund nun zufrieden sein sollte – aber weit gefehlt. Auch jetzt ätzt er, dass Lena zu wenig für sich tue und die Kinder sich spielerisch nicht entfalten können. Es ist verhext – er hat immer etwas zu meckern. Neulich eröffnete sie mir ihr ganzes Leid. Sie wolle ihn ihn so gern zum Schweigen bringen und wünschte sich eine Klappe, durch die er fallen solle, sobald er sich zu Wort meldet.

Wir diskutierten die unterschiedlichsten Entspannungs- und Meditationstechniken. Autogenes Training, Muskelentspannung, Meditation am Boden und im Laufen – egal was Lena machte, der Schweinehund und seine Stimme klebten an ihr. Meine Tante Fine hält nichts von Meditation – wahrscheinlich fiel sie mir deswegen gerade in diesem Moment ein. Sie sagte, da sie in ihrer freien Zeit stricken würde, bräuchte sie keine Meditation. Das verstand ich nicht. Sie versuchte es mir zu erklären: Durch die permanente Bewegung der Hände, fielen ihre Gedanken in eine Art Dämmerzustand. Bei Stricken gehe es ums stricken – da blieb kein Platz für innere Stimmen, Schweinhunde und irgendetwas Ablenkendes. Wer strickt, strickt. Sonst nichts. Tante Fine schwört darauf und sie behauptet, dass sich der gleiche Erfolg auch beim Sticken und Häkeln einstellt.

Ich packte Lena ins Auto und wir fuhren los, um Wolle und Nadeln zu kaufen. Mal schauen, ob es funktioniert.

Wer bin ich…

…und wenn ja wie viele? ist nicht nur ein Buch von Herrn Precht aus dem Jahre 2007, sondern auch ein Zitat aus dem Film RobbyKallePaul aus dem Jahre 1989.

Während Prechts Buch mein Interesse nicht wecken konnte (vielleicht ärgerte mich damals schon, dass eins meiner Lieblingszitate plötzlich auf einem Bestseller an jeder Ecke zu lesen war), war es beim ersten Hören im Kino um mich geschehen. „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ Dieser Satz sollte ein ständiger Begleiter werden. Nicht nur für mich. Meine Tante Fine war ebenfalls begeistert. Nicht, dass in unserer Familie Multiple Persönlichkeiten als Krankheitsbild hervorstechend gewesen wären. Tante Fine begeisterte der Gedanke jeden Tag eine andere sein zu können. Nicht dass sie es gewesen wäre. Meine Tante ist aus meiner Sicht eine der beständigsten Persönlichkeiten, die ich kenne. Sie regt sich über Politik auf, verhätschelt ihre Enkel, Nichten und Neffen und besteht nachmittags auf eine Tasse Kaffee. Keine Gemütsschwankungen, keine Überraschungen. Als ich sie mit meinen bahnbrechenden Beobachtungen konfrontierte, konterte sie, dass es nicht darum ging was IST, sondern um das was SEIN KÖNNTE. Hier geht es um die Möglichkeit in den Gedanken, sagte sie. In Gedanken sei so viel möglich. Sie faszinierte phantastische Möglichkeit, unentdeckten Persönlichkeitsanteilen nachzuspüren und diese zu reanimieren. Wobei in dem Zusammenhang die Wiederbelebung irreführend sein könnte. Ich weiß nicht, ob Tante Fine jemals eine Femme fatale gewesen ist, die es wieder zu beleben galt. Sollte ich es schaffen, alle meine mutigen Anteile gleichzeitig versammeln zu können, werde ich Tante Fine dazu befragen.

Fragen hatte ich auch, nachdem ich das erste Mal das Zitat gehört hatte. Jung, wie ich damals war, verstand ich den Satz ganz anders. Nicht die gedanklichen Möglichkeiten standen im Vordergrund, sondern das was alles in mir tatsächlich da war. Und das war so einiges: Der tägliche Kampf um einen ausgewogenen Gemütszustand, der sich nur widerwillig bei mir heimisch fühlen wollte. Die Frage, welches ICH heute Oberwasser gewinnen würde und welche Auswirkungen dies auf meine Gelassenheit erwarten ließ. Welche Möglichkeiten würden mir heute durch ein unpassendes ICH Wiederwahl entgehen? Entgegen Tante Fines Durchspielen der mannigfaltigen Möglichkeiten, entdeckte ich mit Hilfe dieses Satzes, dass ich täglich den Kampf ums entscheidende ICH kämpfte. Dabei hätte ich gerne mehr mitentschieden. Meistens fehlte dafür das passende ich, weil es sich wieder mal in der falschen Kopfnische herumdrücken musste.

Als ich mich mit Tante Fine darüber austauschte, meinte sie, dass ich mich darüber freuen sollte, dass ich so ICHS zur Verfügung hätte! Was für Möglichkeiten mir das offenbarte! Mein Freude war verhalten – bis jetzt hatte ich es nicht als Ressource empfunden täglich ungebetene Persönlichkeitsanteile in die Flucht zu schlagen. Tante Fine ist sich sicher, dass ich das schnellstmöglich ändern sollte. Denn nicht mehr lange, dann entscheidet das Alter endgültig über meine ICHS – da bleiben nicht viele Persönlichkeitsanteile übrig.

Tante Fine kann sehr überzeugend sein.

Erhellende Gedanken

Meine Tante Fine behauptet, dass in ihrem Kopf ein Knäuel aus Gedanken für ihr Denken verantwortlich sei. Bei ihrer Beschreibung um die Beschaffenheit des Knäuels muss ich an meine üppigen Wollreste denken, die nach 40 Jahren Stricken in einer Kiste lose miteinander verwoben sind. Nachdem das Katertier mit ihnen fertig war, hatten sich aus so mancher loser Verbindung unzertrennliche Gefüge entwickelt. So ein Knäuel muss Tante Fine vor Augen haben, wenn sie über ihr Denken philosophiert.

Ansatzweise kann ich es ihr nachempfinden, wobei mich im Gedankenknäuel meist die losen Enden beschäftigen. Zeitweise blitzen sie auf und kommen als Blitzgedanke daher. Dann heißt es schnell sein. Den losen Gedanken erwischen und ohne Rücksicht auf Verluste ins Licht zerren. Am Schopfe packen und bei Licht entscheiden, ob es sich lohnt, den Gedanken auf Schultern tragend in den Himmel zu heben.

Häufig stelle ich fest, dass so mancher Gedanke nicht nur faktisch, sondern auch inhaltlich an den Haaren herbeigezogen ist. Bei Licht betrachtet, erscheint er allzuoft banal. Geradezu nichtssagend. Losgelassen verschwindet der Wichtigtuer belanglos in den hinteren Reihen, um sich weiter im Dunkeln wichtig zu tun.

Mich erinnert das an Bekanntschaften in dunklen Clubs, von denen es sich auch besser im Dunkeln verabschieden lässt, um Enttäuschungen bei Tageslicht zu entgehen.

Aber Tante Fine ist der Meinung, dass auch ansatzweise hohle Gedanken betrachtet werden wollen. Vielleicht ist doch ein Kleinod darunter, dass sich nur bei genauer Betrachtung zeigt. Deshalb sollen Gedanken unvoreigenommener Begutachtung begegnen – sagt Tante Fine.