
Es hat mich kein weiterer Waggon der deutschen Bundesbahn aus der Nähe gesehen. Zeugin des folgenden Dialogs durfte ich beim letzten Intermezzo “ Unternehmen Zukunft“ werden. Eigentlich war es ein Monolog – der sprechende Teil befand sich einige Plätze hinter mir, mit einem Handy bewaffnet. Der antwortende Teil befand sich irgendwo anders, mit dem Mann in meinem Zug verbunden, aber glücklicherweise außerhalb meiner Hörweite. „Ich brauchte so lange, um das Gehörte zu verarbeiten, deshalb kann ich es erst jetzt aufschreiben“ wäre eine fette Lüge. Ich hatte es verdrängt! Aber bei einem Kaffee unter Freundinnen, fiel es mir wieder ein. UND: Ich kann nichts für die Dialoge dieser Welt. UND: Ich habe mich nicht aufgedrängt, der Dialog kam zu mir!! Ungefragt, ich hätte gerne verzichtet, wurde aber nicht gefragt. Und: Der Dialog war nicht leise, im Gegensatz zum restlichen Zug. Unter den Mitfahrern und Mitfahrerinnen befanden sich außer dem telefonierenden Herrn nur Schweiger und Schweigerinnen. Was zu erwarten gewesen war. Genau genommen hätte keiner diesem Telefonat beiwohnen dürfen. Schließlich befand ich mich im 1. Klassenabteil der Deutschen Bundesbahn. In dem Teil, den einige Hinweisschilder mit durchgestrichenen Handys zierten. Den Mann, der einige Sitze hinter mir das Telefonat begann, hatte es übersehen oder es war ihm egal. Das Resultat war das Selbe. Ich durfte mithören, ob ich wollte oder nicht.
Er: „Hi Bernd.“
…
Er: „Ne, ich bin schon auf dem Rückweg. Ne, das war nichts.“
…
Er: „Hübsch. Eigentlich ganz hübsch. Die ist wirklich sehr nett gewesen. Wirklich richtig nett. Echt jetzt. Aber, die ist mir zu knabenhaft. An der ist mir zu wenig dran.“
Ich nutzte die Redepause des Herren, um mich umzuschauen, ob andere Mitfahrer sich ebenfalls gestört fühlten. Alles was ich sah waren leere Gesichter und ich beneidete sie um die Kopfhörer, die in ihren Ohren steckten. Ein iPad, Netbook oder PC vor sich auf Tisch oder Knie. Sie befanden sich nicht in meiner Welt, sondern in ihrer Welt oder wenigstens im Land der Medien. Nur ich war oldschool. Ich hatte nur etwas zu lesen dabei. Immerhin auch einen elektronischer Reader (bis vor zwei Monaten hätte ich noch bedrucktes Papier in Händen gehalten), aber auch an diesem elektronischen Lesegerät ließen sich keine Kopfhörer anschließen. Was ich zunehmend mehr als bedauerlich empfand.
Er: „Ja klar, wir waren essen. War toll. Echt netter Abend.“
…
Er:“ 34. Sieht wirklich super aus. Aber ich brauch es mit mehr dran. Ich kann mit so Mageren nichts anfangen. So flach ist nichts für mich. Lieber üppig. Und bei Dir?
…
Er: „Natürlich hast Du Dir das verdient. Du hattest super Verkaufszahlen im letzten Quartal. Klar, dass Du die Sonderzulage bekommst und nicht er.
Er hat ja auch einfach…“
An dieser Stelle manövrierten sich der Mann hinter mir und unsichtbarer Bernd in eine Endlosschleife. Sie machten verbalen Schulterschluss gegen einen Herren, der offenbar im gleichen Unternehmen tätig war, namentlich jedoch nicht genannt wurde. Der Inhalt lässt sich schnell zusammenfassen: Der Mann und Bernd waren toll, der andere nicht. Dies wurde wiederholt an Verkaufszahlen, Präsentationen bei Meetings und seiner Erscheinung festgemacht. In wechselnder Reihenfolge. Wie man damit 28 Minuten Telefonat füllen kann, bleibt rätselhaft. Dem ungewollten Zuhörer erlaubte diese Endlosschleife jedoch gedanklich auszusteigen. Ich bin kein Hirnforscher, aber wenn immer wieder gleiche Vokabeln fallen, scheint das Hirn sich selbst abzustellen, weil es klug ist und weiß: „Da ist nichts Neues zu erwarten!“ Vermute ich. Aus der Schule kenne ich ähnliche Effekte.
Alles hat jedoch ein Ende, selbst dieses Telefonat. Als ich mich zu den sanitären Anlagen aufmachte, musste ich am telefonierenden Mann vorbei. Er hatte sein Handy mittlerweile eingepackt. Ich betrachtete ihn ausgiebig und nur in meiner Gedankenwelt blieb ich vor ihm stehen, um ihm zu sagen, dass sein Bauch sicherlich ausreichend ist, um die fehlenden Kurven der besagten netten Frau auszugleichen. Aber, dass daraus sicherlich nichts werden wird, weil er offenbar nicht nur einen unnetten Charakter hat und ziemlich oberflächlich zu sein scheint, sondern schlicht und ergreifend zu alt ist. Welche Vierendreißigjährige möchte etwas mit einem Mann haben, der mindestens zwanzig Jahre älter ist und somit ihr Vater sein könnte? Selbst wenn er nur danach aussieht. Da hilft es wenig, wenn der Herr sich selbst jeden Morgen vor dem Spiegel in Pose schmeißt und sich mit eingezogenem Bauch für einen Prachtburschen hält – was ich ebenfalls vermute, denn was dieser Unsympath vor seinem Spiegel treibt, entzieht sich glücklicherweise meiner Kenntnis.
Im wahren Leben ging ich einfach weiter. Meine gute Erziehung siegte und ich behielt meine Gedanken für mich. Bis jetzt.